ch bin 35 Jahre alt, habe einen lieben Mann, zwei süße Kinder und Haus mit Garten, war viel in der Welt unterwegs, hatte interessante Jobs und von außen würde sicher jeder denken, daß in meinem Leben einfach alles wie am Schnürchen klappt.
Daß da hinter der tollen Fassade jahrelang ein unsäglicher Kampf um mein Gewicht tobte, das ahnt kaum jemand. Lange habe ich gebraucht, um überhaupt darüber sprechen zu können und als es dann soweit war, gab es völlig kontroverse Reaktionen.
Hier also meine Geschichte:
Der Einstieg in einen Teufelskreis war geschafft. Dazu kam noch, daß das Thema Aussehen für meine Mutter sehr wichtig war und Aussagen wie soooo kommst Du bitte nicht zu mir in den Tennisclub taten ihr übriges. Also versuchte ich es wieder; anfängliche Erfolge, ich hielt mich auf das Gramm genau an irgenwelche Angaben, ließ mich nicht von meinem Weg abbringen.
Mein Magen wußte nicht mehr was satt war oder was Hunger. Ich gehorchte nur irgendwelchen Diätplänen, versuchte ich aber wieder selbständig zu essen, ging es gewichtsmässig gleich wieder bergauf.
Hungern und Völlerei gingen fließend ineinander über. Meine Gedanken kreisten ständig um das Essen, einerseits nach dem Motto wieviele Kalorien darf ich heute noch zu mir nehmen? und andererseits was könnte ich noch essen, mehr, mehr, mehr?.
Zum Glück nur für einige Male habe ich es mit Abführmitteln versucht.
Im Nachhinein finde ich manches schon recht witzig, wenn es das auch gar nicht ist. Einer der Hauptmerkmale einer Bulimiekranken ist wohl, daß sie meist Normalgewicht hat und niemand das Dilemma mitbekommt.
Ich war wirklich sehr erfinderisch, wenn es darum ging, die Situation zu verschleiern. Am Telefon gab ich einem Niesanfall die Schuld an der belegten Stimme, kam jemand zu einer ungünstigen Zeit nach Hause, hatte ich ein Schmalzvideo eingelegt und sagte, daß ich gerade so geweint hätte, weil der Film doch so traurig sei, um die roten Augen zu erklären.
Einkaufen ging ich meist auf zwei verschiedenen Einkaufszetteln, einer für die normalen Dinge, die ich mit anderen mit aß und einen, der die Speisen für mein Freßanfälle enthielt.
Ähnlich hielt ich es mit dem Abfall, damit auch niemand drauf kam, was ich denn da so verdrückt hatte. Es war unglaublich, was ich vom Eintritt ins Haus bis zur Wohnungstür im zweiten Stock verdrücken konnte. Wie ein Alkoholkranker hatte ich die Kekse, Schokolade, usw. an den unmöglichsten Orten versteckt. In der Wäschelade, hinter den Putzmitteln, im Keller, unter der Schmutzwäsche, ... und keiner schöpfte je Verdacht. Weder meine Eltern, bei denen ich lebte bis ich 19 war, weder meine Mitbewohnerinnen während der Studienzeit, noch mein Freund.
Für meinen Freund oder meinen Eltern hatte es den Anschein, daß ich eher wenig esse und das sehr ernährungsbewußt. Kein Wunder, denn theoretisch könnte ich zum Thema Ernährung wirklich bald den Doktor machen.
Mit gut 30 heiratete ich meinen Freund, mit dem ich schon fast 10 Jahre zusammen war und wir planten Kinder zu haben. Meinem Körper sei Dank klappte es noch mehr oder weniger in der Hochzeitsnacht und mit diesen zwei rosa Streifen auf dem Schwangerschaftstest kam für mich die große Einsicht.
Wenn ich mir meine Gesundheit ruinieren wollte, nur wegen ein paar Kilos auf den Hüften, dann war das meine Sache, aber jetzt wuchs da ein kleines Menschlein in mir heran, das völlig von mir abhängig war und das es wirklich nicht verdient hatte, an irgendwelchen Mangelerscheinungen zu leiden, nur weil ich es nicht auf die Reihe kriegte, normal zu essen!
Und sollte ich doch nachher viel mehr wiegen, meinem Baby sollte es auf jeden Fall gut gehen. Meine ganze Schwangerschaft ging es mir blendend. Ich aß ganz normal - wohl das erste mal in meinem Leben, einfach das auf was ich Lust hatte und auch so viel wie ich wollte, aber da nichts mehr verboten war, aß ich gar nicht sooo viel. Kurz vor der Entbindung hatte ich nur knapp 12 Kilo zugenommen und die waren - ohne Diät - in ein paar Monaten wieder herunten. Kritisch wurde es dann schon wieder, als ich in das alte Muster von das darf ich nicht essen? verfallen wollte.
Aber als unser kleiner Sonnenschein ein Jahr alt war, entschieden wir uns für ein zweites Baby und auch dieses stellte sich glücklicherweise sofort ein. Die Schwangerschaft wieder wunderschön, die Zunahme fast gleich und bald wieder fast auf dem alten Gewicht.
Es trennen mich momentan so acht Kilo von meinem Traumgewicht und ich bin mir immerhin im klaren, daß ich das weder durch Crashdiäten versuchen werde (erstens bleibt das Gewicht dann nicht so und zweitens habe ich jetzt nicht mehr das Durchhaltevermögen), noch mich an grammgenaue Angaben in einer Diät halten werde.
Es soll langsam aber stetig bergab gehen mit meinen Kilos. Vor 20 Wochen habe ich mit regelmäßigem Sport begonnen und die Gesundenuntersuchung bescheinigte mir Top-Blutwerte und der Arzt meinte, wenn meine Ernährung in meinen Augen auch eher schlecht sei, mein Körper kann gut damit umgehen und bei diesen Werten könne sein Rat nur heißen, weiter wie bisher!
Das ist ja schon ein guter Schritt nach vorn und mein Naschen, das man nur unter das Motto wenn ich nur aufhören könnt stellen kann, werde ich auch noch in den Griff bekommen. Dazu einige neue Ansätze, was die Zubereitung der Speisen betrifft - wie gesagt, theoretisch bin ich absolut top - und es wird schon werden.
Uns allen wünsche ich die ultimative Versöhnung mit uns selber und einen Weg, der uns zu gesundem, lustvollen Essen führt!
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weitere Zunahmen und gute Vorsätze