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Diäten - die Umfrage

 

13 Jahre Bulimie

Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich meine Diätkarriere hier im Forum kund tun soll, aber warum eigentlich nicht, vielleicht öffnet sie sogar jemandem die Augen und das wäre ja schon ein großer Erfolg. I

ch bin 35 Jahre alt, habe einen lieben Mann, zwei süße Kinder und Haus mit Garten, war viel in der Welt unterwegs, hatte interessante Jobs und von außen würde sicher jeder denken, daß in meinem Leben einfach alles wie am Schnürchen klappt.
Daß da hinter der tollen Fassade jahrelang ein unsäglicher Kampf um mein Gewicht tobte, das ahnt kaum jemand. Lange habe ich gebraucht, um überhaupt darüber sprechen zu können und als es dann soweit war, gab es völlig kontroverse Reaktionen.
Hier also meine Geschichte:

Als Kind war ich ziemlich normalgewichtig und wenn ich mich so zurückdenke gab es da ein Erlebnis mit 16, das mir noch stark in Erinnerung ist.
Sommer war's und wir waren mit Freunden meiner Eltern am Badeteich. Ich bekam ein Kompliment für meine gute Figur. Das tat richtig gut und plötzlich erwachte der Ehrgeiz, denn was gut ist, könnte man doch noch besser machen! Es folgten, gemeinsam mit meiner Freundin, mehrere einseitige Diäten. Was runter ging, war sofort nach Ende der Kasteiung wieder drauf und dann auch noch ein bißchen mehr.

Der Einstieg in einen Teufelskreis war geschafft. Dazu kam noch, daß das Thema Aussehen für meine Mutter sehr wichtig war und Aussagen wie soooo kommst Du bitte nicht zu mir in den Tennisclub taten ihr übriges. Also versuchte ich es wieder; anfängliche Erfolge, ich hielt mich auf das Gramm genau an irgenwelche Angaben, ließ mich nicht von meinem Weg abbringen.
Mein Magen wußte nicht mehr was satt war oder was Hunger. Ich gehorchte nur irgendwelchen Diätplänen, versuchte ich aber wieder selbständig zu essen, ging es gewichtsmässig gleich wieder bergauf.

Mein Favorit wurde die Beverly Hills Diet. Drei Wochen nur Obst (vor allem Ananas, Papaya, Mango) und ca. 5 kg waren weg. Funktionierte immer wieder - und kaum war wieder normales Essen an der Tagesordnung, nahm ich natürlich wieder zu. Dann entdeckte ich, daß es noch schneller ging!
Heilfasten, der Grundidee nach eine wirklich gute Sache. Aber eben nur für Normalesser. Problemlos konnte ich 10 Tage ganz ohne Essen auskommen. Wurde ganz euphorisch, aber dann machte ich die obligatorischen Aufbautage (der Körper muß sich ja wieder auf Verdauungsarbeit einstellen), diese auch wieder grammgenau wie gefordert - und schon ging es wieder los.

Hungern und Völlerei gingen fließend ineinander über. Meine Gedanken kreisten ständig um das Essen, einerseits nach dem Motto wieviele Kalorien darf ich heute noch zu mir nehmen? und andererseits was könnte ich noch essen, mehr, mehr, mehr?.
Zum Glück nur für einige Male habe ich es mit Abführmitteln versucht.

Leider aber habe ich dann eine andere Lösung für mich gefunden.
Essen ja, aber einfach nicht im Magen behalten. Alles essen, was man will, aber trotzdem nicht zunehmen!
Langsam aber sicher entglitt mir jegliche Kontrolle über mein Eßverhalten.
Ich stopfte Dinge in mich rein, die Mengen kann man sich gar nicht vorstellen. Darum, ob mir etwas gut schmeckte ging es schon längst nicht mehr. Es ging nur noch um die Mengen, die ich mir runterstopfen konnte und nicht um den Genuß. Torten, Pudding, Joghurt, Sahne, Kartoffelpürre und dazu literweise zuckerhältige Limonaden - alles schon recht ausgeklügelt um den Weg zurück auch so angenehm wie möglich für mich zu machen.
Und so war es mir auch schon bald möglich, nach einem Freßanfall zur Toilette zu gehen und direkt nach der Entleerung wieder in die Küche, um wieder von vorn zu beginnen.

Im Nachhinein finde ich manches schon recht witzig, wenn es das auch gar nicht ist. Einer der Hauptmerkmale einer Bulimiekranken ist wohl, daß sie meist Normalgewicht hat und niemand das Dilemma mitbekommt.
Ich war wirklich sehr erfinderisch, wenn es darum ging, die Situation zu verschleiern. Am Telefon gab ich einem Niesanfall die Schuld an der belegten Stimme, kam jemand zu einer ungünstigen Zeit nach Hause, hatte ich ein Schmalzvideo eingelegt und sagte, daß ich gerade so geweint hätte, weil der Film doch so traurig sei, um die roten Augen zu erklären.
Einkaufen ging ich meist auf zwei verschiedenen Einkaufszetteln, einer für die normalen Dinge, die ich mit anderen mit aß und einen, der die Speisen für mein Freßanfälle enthielt.
Ähnlich hielt ich es mit dem Abfall, damit auch niemand drauf kam, was ich denn da so verdrückt hatte. Es war unglaublich, was ich vom Eintritt ins Haus bis zur Wohnungstür im zweiten Stock verdrücken konnte. Wie ein Alkoholkranker hatte ich die Kekse, Schokolade, usw. an den unmöglichsten Orten versteckt. In der Wäschelade, hinter den Putzmitteln, im Keller, unter der Schmutzwäsche, ... und keiner schöpfte je Verdacht. Weder meine Eltern, bei denen ich lebte bis ich 19 war, weder meine Mitbewohnerinnen während der Studienzeit, noch mein Freund.
Für meinen Freund oder meinen Eltern hatte es den Anschein, daß ich eher wenig esse und das sehr ernährungsbewußt. Kein Wunder, denn theoretisch könnte ich zum Thema Ernährung wirklich bald den Doktor machen.

So weit der Teufelskreis auch schon fortgeschritten war, ich wollte immer noch nicht so richtig wahrhaben, daß da was nicht stimmte. Angeblich fühlen sich doch alle zu dick und sind mit ihrem Spiegelbild nicht versöhnt, da bin ich eben keine Ausnahme!
Bei einer Routineuntersuchung beim Hausarzt machte sich dieser Sorgen um meinen niedrigen Blutdruck und meine Gesichtsfarbe.
Es wurde also ein Blutbild gemacht und bei der Auswertung meiner Blutwerte bezweifelte mein Arzt, daß ich je in meinem Leben Obst oder Gemüse gegessen hätte. Die Werte waren anscheinend wirklich katastrophal und ich bin aufgrund dieser Liste schwarz auf weiß zusammengebrochen. Ich wurde also zur Gesprächstherapie geschickt, die allerdings sehr schmerzhaft war. Als es ans Eingemachte ging, verweigerte sich mein Körper indem er einige male bei einer sogenannten Gedankenreise, die in meine seelischen Tiefen vordringen sollte einfach umgekippt ist.
Als ich kurz darauf einen Job im Ausland annahm, bat mich mein Therapeut inständig, mir gleich wieder einen neuen Therapeuten zu suchen und weiterzumachen - was ich natürlich nicht machte.
Bald schon war ich im gleichen Trott und bis zum großen Wendepunkte konnte ich auf eine mal mehr, mal weniger ausgeprägte Zeit der Bulimie von 13 Jahren zurückschauen.

Mit gut 30 heiratete ich meinen Freund, mit dem ich schon fast 10 Jahre zusammen war und wir planten Kinder zu haben. Meinem Körper sei Dank klappte es noch mehr oder weniger in der Hochzeitsnacht und mit diesen zwei rosa Streifen auf dem Schwangerschaftstest kam für mich die große Einsicht.
Wenn ich mir meine Gesundheit ruinieren wollte, nur wegen ein paar Kilos auf den Hüften, dann war das meine Sache, aber jetzt wuchs da ein kleines Menschlein in mir heran, das völlig von mir abhängig war und das es wirklich nicht verdient hatte, an irgendwelchen Mangelerscheinungen zu leiden, nur weil ich es nicht auf die Reihe kriegte, normal zu essen!
Und sollte ich doch nachher viel mehr wiegen, meinem Baby sollte es auf jeden Fall gut gehen. Meine ganze Schwangerschaft ging es mir blendend. Ich aß ganz normal - wohl das erste mal in meinem Leben, einfach das auf was ich Lust hatte und auch so viel wie ich wollte, aber da nichts mehr verboten war, aß ich gar nicht sooo viel. Kurz vor der Entbindung hatte ich nur knapp 12 Kilo zugenommen und die waren - ohne Diät - in ein paar Monaten wieder herunten. Kritisch wurde es dann schon wieder, als ich in das alte Muster von das darf ich nicht essen? verfallen wollte.
Aber als unser kleiner Sonnenschein ein Jahr alt war, entschieden wir uns für ein zweites Baby und auch dieses stellte sich glücklicherweise sofort ein. Die Schwangerschaft wieder wunderschön, die Zunahme fast gleich und bald wieder fast auf dem alten Gewicht.

Ach wäre das nicht ein tolles Happy End?
Alles in Ordnung und glücklich?
Schon, und eigentlich bin ich ja auch glücklich, aber nun ist meine Kleine schon wieder fast zwei und ich sehne mich nun immer mehr nach meinem alten Traumgewicht, daß ich zwar immer nur ganz kurz gehalten habe, das aber genau das richtige für mich wäre!
Nein, zurück in die Bulimie werde ich nie wieder fallen, dafür bin ich mir der ganzen Sache zu bewußt geworden. Aber mich mit dem heutigen Gewicht zu akzeptieren, so weit bin ich auch noch nicht bzw. nicht mehr.
Habe ich in den letzten Jahren meist als Mama gedacht, finde ich es jetzt wieder an der Zeit als Frau zu denken und dazu gehört für mich eben auch die Auseinandersetzung mit dem Gewicht.

Es trennen mich momentan so acht Kilo von meinem Traumgewicht und ich bin mir immerhin im klaren, daß ich das weder durch Crashdiäten versuchen werde (erstens bleibt das Gewicht dann nicht so und zweitens habe ich jetzt nicht mehr das Durchhaltevermögen), noch mich an grammgenaue Angaben in einer Diät halten werde.
Es soll langsam aber stetig bergab gehen mit meinen Kilos. Vor 20 Wochen habe ich mit regelmäßigem Sport begonnen und die Gesundenuntersuchung bescheinigte mir Top-Blutwerte und der Arzt meinte, wenn meine Ernährung in meinen Augen auch eher schlecht sei, mein Körper kann gut damit umgehen und bei diesen Werten könne sein Rat nur heißen, weiter wie bisher!
Das ist ja schon ein guter Schritt nach vorn und mein Naschen, das man nur unter das Motto wenn ich nur aufhören könnt stellen kann, werde ich auch noch in den Griff bekommen. Dazu einige neue Ansätze, was die Zubereitung der Speisen betrifft - wie gesagt, theoretisch bin ich absolut top - und es wird schon werden.

Als guten Rat kann ich vielleicht noch auf den Weg geben, daß man sofort was unternehmen soll, sobald man irgendwie das Gefühl hat, daß man die Kontrolle über das Essen verliert.
Wenn ich bedenke, wieviel Energie ich da in den Jahren verbraucht habe, wieviel Spaß ich mir genommen habe, weil ich z.B. Einladungen ausgeschlagen habe, da ich nicht mehr in der Öffentlichkeit essen wollte, wie viele unglückliche Stunden hätte ich mir ersparen können ... Und ich kann nur überaus glücklich sein, daß es mir trotz ewigen Raubbaus an meinem Körper gegeben war, zwei ganz, ganz süße Mädchen gebären zu können und einen Mann zu haben, der auch nach meinem outing immer zu mir gehalten hat und mich bei allem unterstützt hat.
Was will ich eigentlich mehr ?
und was stören mich eigentlich diese blöden 8 Kilo ?!?!?!

Uns allen wünsche ich die ultimative Versöhnung mit uns selber und einen Weg, der uns zu gesundem, lustvollen Essen führt!

auf Wunsch anonym veröffentlicht

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